Ob Eltern, Erzieher:innen, Lehrer:innen, Trainer:innen – alle, denen Kinder am Herzen liegen, können aus Anna Greies Buch „KindSein: Der Schlüssel zum Glück“ eine Fülle von Anregungen mitnehmen: Nicht nur wie Singen, Tanzen, Spielen helfen, Kreativität zu wecken und das Selbstwertgefühl zu stabilisieren, sondern auch wie wir Kindern mehr Freiräume zur Entfaltung ihres Inneren geben können. Die Tanzpädagogin, Unternehmerin und Schulleiterin der Musicalschule Stage UP! plädiert für einen empathischen Umgang mit Kindern und eine wertschätzende Kommunikation, kritisiert die allzu leistungsorientierte Erwartungshaltung von Erwachsenen und zeigt die fatalen Folgen von negativer Konditionierung auf.
Bangerang: Frau Greie, was war Ihre Motivation, dieses Buch zu schreiben?
Anna Greie: Die Idee dazu war schon Jahre vorher da, während Corona entstand dann Raum dafür - und Zeit. Durch meine langjährige Arbeit in den Musicalschulen und auch während der Ferienworkshops ist mir aufgefallen, dass in den Kindern beim Spielen, Singen und Tanzen etwas passiert, etwas Magisches. Auch von den Eltern kam immer wieder positives Feedback. Einige sagten, „nach dieser Woche ist mein Kind wie ausgewechselt, es hat sich so enorm entwickelt.“ Oder andere, die meinen: „Ich schicke mein Kind im Sommer zu euch für diese Woche und danach ist es innerlich für das nächste halbe Jahr gestärkt und gewappnet.“ Das hat mich so fasziniert, dass ich wissen wollte, was da eigentlich passiert: So bin ich auf diesen Flow-Zustand gestoßen und dann habe ich begonnen zu studieren.
Das führt mich zu meiner nächsten Frage: Sie haben für Ihr Buch einiges an Literatur gewälzt – warum?
Ich wollte nachweisen, dass es auch wissenschaftliche Belege für diesen Flow-Zustand gibt, es sollte kein spiritueller „Erguss“ werden, sondern Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft, Psychologie und Pädagogik aufgreifen. Ich wollte meine eigenen Erfahrungen und Erkenntnisse damit untermauern, das Ganze ist aber sehr komplex, darum haben wir im Lektorat einiges abgeschliffen, um es leserfreundlicher zu gestalten.
Sie beunruhigt die heutige mediale Welt: Social Media, Gaming und Internet …
Ich sehe da ganz große Gefahren, im Übrigen aber nicht nur in der medialen Welt. Das Wesentliche ist, dass die Kinder immer ein Idealbild vermittelt bekommen, sie haben ständig das Gefühl, irgendwelchen Ansprüchen von außen entsprechen zu müssen, was sie aber natürlich nie können. Und dadurch entwickelt sich in den Kindern ganz früh das Gefühl, spätestens mit Schuleintritt, so wie ich bin, bin ich falsch. Ich bin nicht richtig. Ich reiche nicht aus. Und das ist dramatisch, denn wir wollen doch Kinder, die sagen, ich bin hier der Schöpfer meines Lebens, ich kann alles, was ich will, ich kann alles erreichen. Und nur solche Menschen werden Veränderungen erreichen, die wir zwingend benötigen. Wir brauchen neue Lösungen, für Klima, Gesellschaft, Energiekrise, Gewalt, was auch immer, und die Kinder tragen das Potential dafür in sich. Aber wir lassen sie nicht von innen nach außen leben, sondern geben ihnen vor, wie sie sein sollen.
Auch die Schule sehen Sie wegen ihrer Fokussierung auf Leistung als problematisch an ...
Ja. Das System ist ein Konzept voller Bewertungen. Anfangs leben Kinder noch in einer gewissen Freiheit, dann kommen sie in die Schule, freuen sich aufs Lernen, sind neugierig und nun geht es oft erschreckend schnell, dass die Neugier, die Motivation zu lernen, verschüttet wird.
Sie schreiben, dass Ihr Sohn Ihnen einmal gespiegelt hat, dass Sie ihn immer nur kritisieren, ihr aber nie sagen, was er richtig gemacht hat.
Schön, dass Sie das ansprechen: Ich sehe mich überhaupt nicht in der Position, dass ich irgendetwas besser mache oder irgendjemandem voraus bin. Ganz im Gegenteil: Ich übe mich jeden Tag in positiver Bestärkung und Achtsamkeit. Wir können uns bewusst machen, was Kinder brauchen. Mein Sohn ist mit diesem System auch nicht so kompatibel und stößt immer an. Im Kindergarten war er noch so voller Neugier und Lust, die Welt zu entdecken. Im System Schule wurde ihm ungewollt vermittelt, er sei falsch, und bekomme es nicht hin. Und dann setzt oft die Spirale der sich selbsterfüllenden Prophezeiung ein. In das Buch sind also ganz viele Erfahrungen aus meinen Schulen und meiner beruflichen Tätigkeit mit eingeflossen, aber auch persönliche.
Wie sähe denn Ihre ideale Schule aus? Sie plädieren zum Beispiel dafür, dass die künstlerischen Fächer wie Malen, Musik, Schauspiel nicht bewertet werden.
Bewertungsfreie Fächer wären ein ganz wichtiger Weg, aber auch wenn wir im System Schule anerkennen würden, dass es auf jede Frage viele mögliche Antworten gibt. Dass es in jeder Situation eine Vielfalt an Möglichkeit gibt, wie wir agieren und wie wir reagieren können. Das würde uns auch gesellschaftlich weiterhelfen, denn wir brauchen doch die neuen Lösungen. Natürlich müssten wir uns auch inhaltlich neu aufstellen: Empathie, Toleranz und Menschlichkeit fördern, aber auch Glücklichsein und Selbstfindung. Und lebensnahe Dinge lernen wie z.B. Erste-Hilfe-Kurse.
Ihr Buch ist ein großer Appell an Erwachsene, vor allem Ihr letztes Kapitel ist ein Feuerwerk an Ideen.
Mein Buch richtet sich auch an unser inneres Kind. Im Grunde geht es immer auch um wertschätzende Kommunikation, um Lob und sensible Bestätigung – wir können auch ganz viel von den Kindern lernen! Letztlich habe ich eine Vision von einer friedlicheren Welt: Wenn jeder einzelne Mensch in Frieden und Liebe mit sich selbst ist, dann ist er das auch mit anderen Menschen. Das Wichtigste ist doch: Jeder kann jeden Moment bei sich selbst anfangen. Wir dürfen lernen, die Probleme von innen heraus zu lösen.
Das Gespräch führte Gaby Friebel
Anna Greie / Kindsein
ISBN 978-3-910322-00-4