Frech, fantasievoll, lustig und turbulent - alle Zutaten für ein schönes Familienstück.
Was ist klein, frech, rothaarig und hat blaue Punkte im Gesicht? Richtig - das Sams. Ab Mitte November wird es über die Bühne des St. Pauli Theaters fegen und für turbulente Verwicklungen sorgen. Das Sams hat sich Herrn Taschenbier zum Papa ausgesucht und stellt nun dessen eher eintöniges Leben tüchtig auf den Kopf. Die Langeweile hat keine Chance mehr - fortan erlebt Herr Taschenbier die merkwürdigsten Dinge und Abenteuer. Das Sams macht ihm Mut und je länger es bei Herrn Taschenbier bleibt, desto mehr schließt er es ins Herz. Außerdem scheinen alle seine Wünsche in Erfüllung zu gehen … Frech, fantasievoll, lustig und turbulent - alle Zutaten für ein schönes Familienstück.
Bei Regisseur Felix Bachmann, der bereits in der Vergangenheit glänzte mit Stücken wie Die kleine Hexe, Schneewittchen, Käpt’n Sharky oder Das Dschungelbuch, ist der Klassiker von Paul Maar in bewährten Händen. Er meint im Interview mit BANGERANG, bei dem auch die Schauspieler Melissa Holley (Frau Rotkohl u.a.), Martin Wolf (Herr Taschenbier) und Alice Hanimyan (Sams) mit von der Partie sind: „Ich mache seit 2014 Kindertheater und arbeite aktuell an meinem sechsten Kinderstück. Mit diesem Ensemble arbeite ich seit 2016 zusammen, das macht natürlich unheimlich viel Spaß, vor allem, weil man sich so gut kennt und im Vorwege sehr gut abschätzen kann, wie man die Figuren zusammen mit den Schauspielern entwickeln kann. Den Stoff fürs Weihnachtsmärchen suche ich immer zusammen mit Thomas Collien aus. Sobald in einem Jahr das Weihnachtsmärchen durchgespielt ist, geht es sofort auf Stoffsuche fürs nächste Weihnachtsfest. Meist suchen wir etwas Bekanntes und es soll für Kinder ab vier Jahren passen.“
Felix Bachmann weiter: „Aber natürlich wollen wir auch die Erwachsenen, die Eltern unterhalten - und das gelingt uns doch meistens gut. Man muss auch schon einen Blick für den Humor der Erwachsenen haben. Wir haben hier am St. Pauli Theater unsere Stammkundschaft, die wollen die Tradition des Weihnachtsmärchens aufrechterhalten. Manchmal kommt sogar die Großfamilie mit Oma und Opa.“ - Martin Wolf: „Das oft ist sehr süß anzusehen, wenn da zehn Erwachsene sitzen und dazwischen nur ein Kind.“
Bangerang: „Frau Holley, welche anderen Rollen spielen Sie neben der Frau Rotkohl noch im Stück?“
Melissa Holley: „Ich spiele noch die Verkäuferin im Kaufhaus und Frau Oberstein, die Chefin von Herrn Taschenbier, das ist jetzt, anders als im Buch, eine Frau und zudem noch eine Schülerin. Bei so vielen Rollen muss man im Vorfeld genau schauen: Wie funktioniert der Rollenwechsel, wie schnell kann ich die Kostüme wechseln?“
Felix Bachmann: „Melissa hat in den vergangenen Jahren immer die Titelrolle gespielt, die kleine Hexe, Schneewittchen, Mogli…“
Bangerang: „Frau Holley, bei so vielen Rollen sind Ihre Multi-Tasking-Fähigkeiten gefragt, die Sie ja schon erprobt haben …!“
Melissa Holley: „Ich habe zwar bereits in anderen Stücken mehrere Rolle gespielt, aber noch nie in einem Weihnachtsmärchen. Das ist eine schöne Herausforderung. Zudem ich dieses Mal auch eher Gegenfiguren spielen muss.“
Martin Wolf ergänzt: „Diese Gegenfiguren in einem Märchen sind unheimlich wichtig und oft kleine Perlen. Auch ich musste oft den Gegenpart oder mehrere Rollen spielen. Eigentlich ist das Umziehen hinter der Bühne viel anstrengender als das Spielen selbst, das verstehen viele Leute nicht, aber nach dem Umziehen ist ja alles geklärt und man kann den Moment auf der Bühne genießen. Aber das hektische Suchen nach den Klamotten hinter der Bühne im Dunkeln, dann der Stress, wenn der Bart nicht richtig klebt, das ist viel anstrengender, deswegen habe ich lieber durchgehende Rollen, als wenn ich mich fünfmal umziehen muss.“
Bangerang: „Ist für Sie Kindertheater im Vergleich zum Theater für Erwachsene lustiger und bringt Ihnen mehr Spaß?“ Unisono strahlen Regisseur und Schauspieler: „Es ist so toll für Kinder zu spielen, sie sind so direkt, die Kleinen sind so aufmerksam und so gebannt von dem Geschehen auf der Bühne, das ist für sie wie Zauber - das macht so viel Freude und ist mega-schön!“
Mellisa Holley: „Das Publikum ist viel direkter. Sie rufen dann einfach etwas rein. Das ist so pur.“
Martin Wolf: „Ja, sie zeigen aber auch sofort, wenn sie etwas langweilig finden oder doof. Man kann für Kinder nicht halb spielen. Man muss immer hundert Prozent geben, ob es nun um Tiere geht wie im Dschungelbuch, man muss immer auf einem energetisch anderen Level spielen. Das ist ganz schön anstrengend, vor allem, wenn man an einem Tag zwei oder gar drei Vorstellungen hat. Da muss man sich seine Kräfte gut einteilen, das ist wie ein Marathonlauf.“
Alice Hanimyan: „Aber auch Erwachsene können als Publikum schwierig sein: Ich habe schon erlebt, wie manche alles kommentieren oder das Handy klingelt …“
Felix Bachmann: „Das harte Los des Schauspielers auf der Bühne.“
Bangerang: „Das Sams als Stoff - bringen Sie da aktuelle Bezüge mit hinein? Das Sams ist ja ein anarchischer Charakter - was ist Ihnen wichtig am Sams?“
Felix Bachmann: „Wir belassen das Stück schon in seiner Zeit und versuchen nicht, es zu aktualisieren. Denn eigentlich ist das Sams ein zeitloser Stoff. Das Sams kann zunächst gar nicht verstehen, wie Herr Taschenbier in seiner kleinen, engen Welt leben kann. Es zeigt dem ängstlichen, scheuen Taschenbier dann aber, dass man seine Angst überwinden kann. Es bricht etwas in Herrn Taschenbier auf, so dass er aus seinem ängstlichen, etwas spießigen Leben ausbrechen und mutiger werden kann. Das Sams stärkt das Selbstbewusstsein, das Selbstwertgefühl: Es zeigt, dass man seinen Wünschen nachgehen kann.“
Martin Wolf ergänzt: „Ja, dieser Status, dass da jemand Chef ist, der über einem steht oder der Vermieter. Die Angst, die dahinter steckt, das macht man nicht, das kann man nicht tun. Es wird einem immer gesagt, was man tun soll, was man auf gar keinen Fall tun soll oder womit man aneckt. Nicht unangenehm auffallen. Ich denke, du darfst nicht, nur weil dir andere Leute Druck machen, dann etwas lassen, worauf man aber Lust hat. Das Sams zeigt uns allen: Versuch, Sachen auszuprobieren, hinterfrage, warum man etwas angeblich nicht macht. Das Sams macht den Taschenbier lockerer.“
Alice Hanimyan: „Das Sams zeigt auch, dass es völlig okay ist, anders zu sein, anders auszusehen.“
Martin Wolf: „Ich freue mich, dass das Sams eine neutrale Figur ist, mit dem sich Mädchen und Jungs identifizieren können - das ist super für Kinder. Bei Schneewittchen oder der kleinen Hexe haben sich natürlich mehr die Mädchen mit der Titelheldin identifiziert, bei Käpt‘n Sharky waren es die Jungs … “
Felix Bachmann: „Herr Taschenbier akzeptiert das Sams als völlig anderes Wesen und es ist ihm völlig egal, ob das Sams eine Schweinenase im Gesicht hat. Mir ist das Thema Musik in diesem Weihnachtsmärchen auch besonders wichtig - ich habe mich übrigens dieses Jahr ganz bewusst für eine Schlagzeugerin entschieden. Mir ist es wichtig, dass Kinder sehen, wie Musik gemacht wird. Dass live gespielt wird, live gesungen wird. Zum Glück habe ich hier tolle Sänger*innen.“ (Felix Bachmann schaut dabei lobend sein Ensemble an.)
Bangerang: „Wie war eigentlich Ihr Weg zum Theater, Herr Bachmann?“
Felix Bachmann: „Ich bin in einer Musikerfamilie aufgewachsen - um mich herum war immer Musik. Ich bin da etwas aus der Art geschlagen, weil ich mehr am Theater interessiert war. Ich hatte aber gar keine Lust auf ein Studium und bin dann über Hospitanzen in der Praxis gelandet. Und durfte dann recht schnell assistieren bei großen, namhaften Leuten wie Zadek und Minks und habe mir da viel abgucken können. Also: Learning by doing, Learning by zugucking und zuhöring (schmunzelt). Mich hat das praktische Arbeiten mehr interessiert, das andere war mir oft zu verkopft. Auf die Bühne wollte ich nie - nur hinter die Bühne. Nicht wegen des Lampenfiebers - ich bin als Musiker durchaus mal aufgetreten, es hat mich aber einfach nie gereizt auf die Bühne zu gehen. Zum St. Pauli Theater bin ich über Uli Waller gekommen, als der noch bei den Kammerspielen war. Ich bin hier seit 2003 und freue mich, dass es hier ungeheuer abwechslungsreich und vielfältig ist.“
Martin Wolf: „Man muss auch wissen, dass Felix auch sehr wichtig in der Abendspielleitung ist, da er Leute ganz schnell einweisen kann, für uns als Schauspieler ist es unheimlich wichtig, so jemanden wie Felix zu haben. Als Bindeglied.“
Felix Bachmann: „Ja, es gibt hier im Haus viel zu tun. Wir machen hier 3-4 Eigenproduktionen pro Jahr plus das Weihnachtsstück.“
Bangerang: „Wer war Ihr Vorbild?“
Felix Bachmann: „Mein größtes Vorbild war Zadek, wie er auf Schauspieler geblickt hat und wie er auf Stücke geblickt hat. Bei ihm standen immer die Figuren im Mittelpunkt, die Schauspieler, dieses unbedingte Interesse, Geschichten zu erzählen. Er hatte kein Konzept, in das sich alles einfügen musste. Menschlich war er aber nicht der Einfachste.“
Bangerang: Im Stück geht es auch immer ums Wünschen - was würden Sie sich wünschen, wenn Sie Wunschpunkte hätten?
Martin Wolf: „Ich finde gerade am Stück so toll, dass der Taschenbier nicht so genau weiß, wie das Wunsch-Prinzip funktioniert, dass er ganz naiv und unüberlegt seine Wünsche so raushaut. Und zwar immer aus dem Moment heraus: Ich habe Hunger - also wünsche ich mir Hähnchen mit Kartoffeln. Frau Rotkohl nervt, also soll sie weg. Du bist laut, also wünsche ich mir, dass du leise bist. Statt so kalkuliert zu überlegen: Mit meinem ersten Wunsch wünsche ich mir, dass ich unbegrenzt wünschen kann, dann wünsche ich mir ganz viel Geld und dann noch eine griechische Insel … Im Privaten ist Wünschen nicht so meins, das ist mir zu passiv. Besser ist es, zu überlegen, was man machen möchte. Was mag ich nicht - also lasse ich es. Was mag ich - also mache ich es. Das Wünschen ist gar nicht so wichtig, wenn man ein erfülltes Leben führt.“
Alice Hanimyan: „Bei Kindern ist das Wünschen aber schon sehr wichtig: Was wünsche ich mir zu zum Geburtstag oder zu Weihnachten. Ich wünsche mir, dass wir eine tolle Winter-/Weihnachts-Spielzeit haben werden.“
Melissa Holley, lacht und ergänzt: „Und dass wir gesund bleiben.“
Felix Bachmann: „Ich wünsche mir, dass die Kinder das Stück so verstehen, dass sie anfangen eigenständig zu denken. Dass sie nicht mehr etwas unterlassen, nur weil man es sagt, sondern dass sie eigenständig etwas begreifen. Kinder werden heute oft so bevormundet. Früher hat man Kindern mehr zugetraut, heute sind die Eltern oft so besorgt, Stichwort „Helikopter-Eltern“…“
Martin Wolf: Ja stimmt, mittlerweile herrscht solch eine Riesenangst ums Kind, zum Beispiel ihm Werkzeug in die Hand zu geben. Mein Vater hat mir mit fünf oder sechs seine Werkzeuge gezeigt, mir erklärt, worauf ich achten muss, dann hat er mir zugeguckt und mich machen lassen, und sogar die Tür zugezogen. Ich wünsche mir, dass auch die Eltern etwas aus dem Stück mitnehmen und erkennen, dass man nicht immer alles so brav mitmachen muss. Dieses Statusdenken aufgeben. Dieses „Das macht man nicht“.“
Alice Hanimyan: „Das Tolle an dem Stück ist, dass das Sams, das kindliche Wesen, dem Erwachsenen zeigt, wie es läuft und dass man sich mehr zutrauen kann. Also genau umgekehrt wie üblich.“