„Eine Geschichte über Heimat, Großwerden und Wurzeln“
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Marc Sandten
Christian Berg
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© G2 Baraniak
Interview mit Christian Berg
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St. Pauli Theater
„BAMBI“
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St. Pauli Theater
„BAMBI“
Im März 2018 feiert Christian Berg ein ganz besonderes Jubiläum: Er bringt sein 30. Musical im St. Pauli Theater auf die Bühne: BAMBI, das erste „Waldical“ der Welt. Grund genug, um mal wieder mit dem quirligen Cuxhavener, der als „König des Kinder-Musicals“ gilt, zu sprechen:
„In der Weihnachtszeit stand ich zweimal am Tag auf der Bühne im Winterhuder Fährhaus und hatte über Heiligabend nur 24 Stunden frei. Danach war ich eine Woche über Silvester in Polen. Anschließend habe ich mich langgestreckt. Das heißt, ich schreibe zwar an den Szenen zu „Bambi“, aber das mache ich sehr dosiert und alles vom iPad aus, sodass ich nicht an den Schreibtisch muss und alles von der Couch auch machen kann. Ich habe mich gewissermaßen in meinen Winterschlaf begeben.“
Wohl nur ein so umtriebiger Mensch wie Sie, Herr Berg, kann diese etwas ruhigere
Phase im Januar 2018 als Winterschlaf bezeichnen. - „ Ich mache nicht so viel, ich schreibe jeden Tag nur eine halbe Szene und gehe fast gar nicht raus, deswegen kaufe ich auch ganz viel auf Vorrat ein. Im Januar habe ich aber immer ein schlechtes Gewissen, dass ich zu wenig tue. Andererseits mache ich das ganze Jahr über so viel, dass ich eigentlich gar kein schlechtes Gewissen haben müsste. Vor allem der Dezember ist ganz besonders anstrengend. Mein Beruf ist ja ziemlich unmenschlich und lässt manchmal kaum Zeit für Privates. Und es ist es dann schon traurig, wenn man ausgerechnet an Weihnachten kaum bei seiner Familie sein und auch nicht schlemmen kann, dabei esse ich doch so gerne gut.“
Wäre es dann nicht eine gute Idee, einmal an Weihnachten auszusetzen? -„Geht nicht. Ich habe bereits im Winterhuder Fährhaus unterschrieben. Wir machen dieses Jahr „Frau Holle. Bettenmachen mit Musik“. Wir hatten zu Weihnachten im Winterhuder Fährhaus eine Auslastung von 95 oder 96 Prozent - das ist ja auch sehr beglückend. Man darf sich ja nicht beschweren, wenn das Publikum einen sehen möchte.“
Walt Disney brachte „Bambi“ 1942 in die Kinos. Generationen sind seitdem mit dieser Märchenfigur aufgewachsen. Wie kamen Sie eigentlich zu dem Stoff?
„Der Hintergrund ist ja ziemlich traurig: Der Autor von „Bambi. Eine Lebensgeschichte im Walde“, Felix Salten, musste Europa verlassen, weil er Jude war. Später hat ihm Walt Disney die Filmrechte für nur 1000 Dollar abgekauft, das heißt, Salten ist nicht mal reich geworden durch den Verkauf. Das Buch ist mir vor sechs Jahren in die Hand gekommen - als Hörbuch, gelesen von Anke Engelke, und ich fand es sprachlich ziemlich gigantisch. Seitdem wusste ich, dass ich daraus etwas machen wollte. Der Disney-„Bambi“ war mir immer schon zu süß und zu zuckerguss-behaftet. Ich wollte meine Version daraus machen: Natürlich über eine Kindheit im Walde, wie sie Salten beschreibt, aber auch eine Geschichte über Heimat, Großwerden und Wurzeln. Außerdem wollte ich auch unbedingt auf die Umweltsituation eingehen - aber ohne den Holzhammer zu benutzen - und natürlich auch auf die Situation des Menschen und seinen unmäßigen Fleischkonsum. Ich spiele den Jäger, der sich am Ende versteckt, weil er nicht schießen und ausgelacht werden möchte. Und dazwischen erzähle ich die Geschichte von Bambi, vom Erwachsenwerden.“
Und wie setzen Sie das Ganze um? - „Wir arbeiten mit lebensgroßen Rehpuppen, die von Musical-Darstellern bedient werden, die gleichzeitig mit diesen Figuren singen und tanzen. Die Darsteller tragen passende braune Kostüme und werden natürlich nicht so ausgeleuchtet, damit sie im Hintergrund bleiben. Aber sie singen live, sie tanzen live und bedienen live die Puppen. In England haben wir eine Hutmacherin gefunden, die riesengroße Tierhüte fürs Theater und Fernsehen kreiert, die sie aus Wolle und Filz fertigt. Herr Hase, Bambis Vater und Bambi und Faline als Erwachsene tragen diese Riesenhüte. Das Bühnenbild von Ulrike Engelbrecht trägt außerdem dem Recycling- und Umweltschutz-Gedanken Rechnung. Es gibt z. B. einen großen Baum, der komplett aus Dachlatten gemacht ist. Ansonsten lassen wir den Wald erklingen. Es wird ein großes musikalisches Bilderbuch zu sehen sein - mit einem singenden und klingenden Wald, mit Rock, Balladen, mit Schlagermelodien - zum Mitsingen und Mitklatschen. Es wird sehr farbig und bunt. Ich erzähle die Geschichte von Bambi, aber eben nicht so zuckersüß wie im Disney-Film.“
Viele Erwachsenen haben „Bambi“ aber eher traurig in Erinnerung …
„Stimmt: Das erste, was mir Erwachsene - eigentlich sind es nur Frauen - erzählen, wenn sie
hören, dass ich „Bambi“ herausbringen will: „Als ich ein Kind war und im Kino „Bambi“ sah, hatte ich ein Trauma, weil Bambis Mutter starb.“ Meine Antwort darauf war immer: Dieses Trauma wird es so bei uns nicht geben. Schließlich mache ich das Stück und da können Sie sich darauf verlassen, dass das nicht passiert. Bei der Frage nach Bambis Mutter muss ich schon schmunzeln, weil mir diese Frage immer nur Frauen stellen.“ - Komisch. - „Ja, das ist wirklich komisch, denn kein Mann hat mir bisher diese Frage nach Bambis Mutter gestellt.“ - Was schließen Sie daraus? - „Wahrscheinlich waren die Jungs schon damals etwas cooler. Ich habe ja diese Gespräche über „Bambi“ ohnehin nur deswegen geführt, weil ich im Dezember auf der Bühne des Winterhuder Fährhauses verkündet habe: Wir machen „Bambi“. Dann kamen die Mütter zu den Autogrammstunden und befragten mich wegen des Todes von Bambis Mutter. Und nicht ein einziges Mal stellte ein Vater mir eine derartige Frage.“ - Was haben Väter gefragt? - „Ist das Stück schon etwas für Vierjährige? Mehr aber nicht.“
Können Kinder heute besser mit schwierigen Themen umgehen? - „In unserem letzten Stück „ Phantom von Opa“ ging es nur um den Tod - und da haben sich die Leute schiefgelacht. Ich glaube, dass wir heutzutage ganz andere Kinder vor uns haben. Die Kinder sind viel weiter - und sie sind auch viel mündiger. Ich mache nun seit mittlerweile 30 Jahren Kindertheater und ich staune, was wir Kinder heute vorsetzen können und wie weit sie sind. Ich schreibe auch gerade ein Kinderbuch, das im Thienemann Verlag erscheinen wird, es ist für Kinder ab vier Jahren und ich habe es in einer Lesung getestet vor Vierjährigen. Ich hätte bei vielen Dingen nicht geglaubt, dass sie das schon verstehen. Ich finde schon, wir sollten Kinder mehr zutrauen und zumuten.“
Wie ist denn aktuell der Stand der Dinge? - „Wir gehen Anfang Februar in die Proben zu „Bambi“, der Vorverkauf läuft sehr gut. Mittlerweile ist die Musik fertig, das Libretto ist jetzt auch fertig und das werde ich zusammen mit dem Ensemble nun erarbeiten. Die Musik ist sehr vielversprechend. Mit dem Komponisten Paul Glaser habe ich bereits „Der Fischer und seine Frau“ im Sprechwerk gemacht, „Das Gespenst von Canterville“ und „Rapunzel“ im Winterhuder Fährhaus und „Das Phantom der Oper“ im St. Pauli Theater. Es ist also unser fünftes Stück in zwei Jahren. Da ist ein großes gegenseitiges Verständnis da. Ich habe den Glaser vor zwei Jahren in Hamburg getroffen und dann haben wir für den „Fischer und seine Frau“ auf Anhieb eine Nominierung für den „Faust“, das ist praktisch der Theater-Oscar, bekommen. Das ist mir in all den Jahren noch nie passiert.“
Können Sie noch etwas mehr zum Tierschutz- und Naturschutz-Aspekt sagen? - „Ich
möchte nicht so mit dem Holzhammer vorgehen. Ich denke, wenn ich gute Unterhaltung biete, kann ich gewissermaßen nebenbei auch eine Botschaft einfließen lassen. In dem Buch von Salten ist immer die Rede von ER, wenn der Mensch gemeint ist, da geht es dann um die Angst, das Gewehr und ums Töten, das klingt dann so wie bei weiland Harry Potter, wenn von Lord Voldemort die Rede ist. Und da habe ich mir gedacht, nimm doch die ganze Figur Mensch, die sich als Krone der Schöpfung sieht und sieh, wie sie mit dem Wald umgeht und den Tieren. Daraus baue ich jetzt die Figur, die natürlich ein komischer Charakter wird und die sich eigentlich lächerlich macht. Das Ganze beginnt in einem Gebüsch, wo der Jäger (also ich) sich versteckt. Erzählt wird dann, wie es dazu kam - weil der Jäger bei einer Jagd weggelaufen ist. Und dann beginnt der Jäger seine Geschichte zu erzählen, die auch die Geschichte von Bambi enthält. So gelingt es dann erstens, die Angst zu nehmen durch diese lustige Figur. Und zweitens kann man so dem Publikum einen Spiegel vorhalten, wie es auch der Clown macht: Wie gehen wir eigentlich mit unserer Umwelt um? Ich werde mich aber nicht auf die Seite der Veganer und Vegetarier schlagen und sagen: Oh, oh, liebe Kinder, esst kein Fleisch mehr. Aber: Wir essen definitiv zu viel Fleisch und definitiv ist uns alles zu selbstverständlich geworden. Und das versuche ich auf meine Art in die Geschichte zu packen, aber um Gotteswillen nicht mit dem Holzhammer. Ich möchte den Menschen auch nicht als hassenswerte Figur hinstellen, aber vielleicht kann man dem Menschen ja auch mal einen kleinen Klaps geben und gucken, wie er sich dann verändert. Mit Disney hat mein Stück nichts mehr zu tun. Zum Bespiel gibt es im Film den Hasen, Klopfer, den gibt es bei uns auch, aber er heißt Herr Hase, wie im Buch von Felix Salten, aber er ist ein erwachsener Mann und ein Freund und Ratgeber von Bambi, aber kein Hasenkind, das mit Bambi durch den Wald tollt. Bei uns gibt es auch kein Stinktier, ganz einfach weil es in Österreich oder Deutschland solche Tiere im Wald nicht gibt. Aber Herr Disney hat die Geschichte nach Amerika transportiert und aus diesem Grund einfach ein Stinktier hinzugefügt. Die Geschichte endet bei mir mit Bambis Erwachsenwerden. Geeignet ist das Stück für Kinder ab vier Jahren und die ganze Familie. Es gibt wieder viel zum Mitsingen und Mittanzen, so wie man das von mir kennt, es wird also kein düsterer Stoff.“
Das Gespräch führte Gaby Friebel.
INFO-Kasten:
1966 wurde Christian Berg in Bad Oeynhausen geboren. 1988 gründete er ein Tourneetheater
für Kinder und Familien. 1998 folgte das Sommertheater in Cuxhaven. Seit 1999 begeistert Berg das Publikum mit Stücken wie „Jim Knopf“, „ Das Dschungelbuch“, „Peter Pan“, „Der kleine Lord“, „Wachgeküsst - Das Dornröschenmusical“, "Pinocchio“, „Tamino Pinguin“, „Pettersson und Findus“ und „Oliver Twist“ (Musik: Konstantin Wecker). Zusammen mit dem schwedischen Komponisten Paul Glaser wird Berg pünktlich im 95. Jahr nach Erscheinen des Buches „BAMBI - Das Waldical" auf die Bühne bringen, das auf dem Original-Buch von Felix Salten (1869-1945) beruht. Das Stück, produziert von Bergs/Glasers eigener Produktionsfirma „Gegenmaßnahme – Gesellschaft für gute Unterhaltung GbR", ist eine echte Welt-Uraufführung, denn BAMBI gab es noch nie als Musical. Geeignet ist es für Familien mit Kindern ab 4 Jahren.
Premiere im St. Pauli Theater (Spielbudenplatz 29 - 3020359 Hamburg) am 2. März um 15 Uhr.
Weitere Vorstellungen: 17. März: 15 Uhr / 24. März: 14 Uhr / 25. März: 11 + 14 Uhr /
1. April bis 2. April (Ostersonntag und Ostermontag): jeweils 11 + 14 Uhr
Karten unter: Tel. 040-4711 0 666, an der Tageskasse (Mo-Sa: 10-19 Uhr, So: 14-19 Uhr) oder unter www.st-pauli-theater.de