Es ist DIE Horror-Vorstellung für Eltern, dass das eigene Kind im Straßenverkehr verunglückt. Vielen Familien erscheint es daher folgerichtig, den Nachwuchs sicher und beschützt im Auto zur Schule zu befördern, natürlich auch aus Zeitgründen oder weil die Wege zur Schule in vielen Stadtteilen Hamburgs sehr weit sind. Welch chaotische Szenen sich dann aber frühmorgens an vielen Grund- und weiterführenden Schulen Hamburgs abspielen, wenn Eltern versuchen, ihre Kinder direkt vor den Schultoren abzusetzen, wird meist ausgeblendet. Straßen und Zugangswege werden blockiert und dadurch unabsichtlich eine unübersichtliche Gefahrenzone provoziert. Dabei passieren häufig Unfälle mit Schüler:innen, die zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs sind oder zur Straße hin aus dem „Elterntaxi“ aussteigen. Noch gefährlicher wird es bei Dunkelheit, Regen oder Schnee.
Sabine Bünger, die bei der Unfallkasse Nord im Bereich Prävention tätig ist und das Sachgebiet Verkehrssicherheit in Bildungseinrichtungen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung leitet, regt im Gespräch mit BANGERANG an, das Thema sicherer Schulweg neu zu denken. „Die allgemeinen Zahlen der Schulwegeunfälle sind zwar erfreulicherweise rückläufig, doch der Verkehrsraum hat sich in den vergangenen Jahren unglaublich verdichtet, gerade in einer Millionen-Metropole wie Hamburg. Auch die Fahrzeugtechnik hat sich verändert, denken wir nur an die geräuscharmen Elektro-Fahrzeuge: Früher konnten Kinder Autos schon von weitem hören, das ist heute deutlich anders. Auch die heutzutage sehr beliebten SUVs, also diese auffallend größeren Autos, haben Auswirkungen auf die Sicht der Kinder. Wenn Eltern sich mal auf Augenhöhe ihrer Kinder begeben, sehen sie, dass diese großen, schweren Fahrzeuge Kindern nicht nur die Sicht nehmen, sondern auch die Sichtbarkeit der Kinder selbst erschweren.“ Beim Thema Verkehrssicherheit gehe es folglich nicht nur um sinkende Unfallzahlen, sondern auch um Sensibilisierungen für Veränderungen im Verkehrsraum: Ein anderes Beispiel dafür sei der Gehweg: Mittlerweile teilen Kinder sich diesen mit anderen Verkehrsteilnehmer:innen auf dem Rad, dem E-Bike, Lastenrad oder E-Scooter: „Der Raum, den Kinder haben, ist enger geworden, eingeschränkter.“
Welche Maßnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit gibt es?
„Die Unfallkasse Nord ist seit Jahren verlässlicher Kooperationspartner des Forums für Verkehrssicherheit und plant, organisiert und unterstützt bei regelmäßig stattfindenden Verkehrssituationen, so beispielsweise bei der Schultüten-Aktion oder auch die Aktion
Zu Fuß zur Schule – jeweils im September 2025. Neu herausgebracht hat sie die Broschüre Kita Kids unterwegs ... für Kita und Vorschule, die sich Eltern natürlich auch herunterladen können. Direkt für Eltern gibt es die Broschüre Sicher mit dem Rad zur Schule.“
Wie Eltern ihre Kinder optimal unterstützen können: Tipps der Verkehrsexpertin für die Vorbereitungen des Schulweges
„Drei bis vier Wochen vor dem Schulstart, das gilt übrigens auch für die weiterführende Schule, sollte der Schulweg eingeübt werden. Dabei ist es das A und O, den Schulweg genau zu betrachten, und zwar unabhängig von dem Fortbewegungsmittel, egal ob man zu Fuß geht, mit dem Fahrrad fährt oder den Bus nimmt. Es gilt, sich die Gefahrenstellen genau anzuschauen. Wo sind Einfahrten? Gibt es große Querungen, Kreuzungen? Wichtig ist, sich nicht unbedingt den schnellsten Weg auszusuchen, sondern den sichersten und möglichst auf Straßen mit wenig Verkehr und breiten Gehwegen zu achten. Sehr gut sind Ampeln, Zebrastreifen und Mittelinseln zum sicheren Überqueren, wobei gerade auch das richtige Verhalten am Zebrastreifen gründlich geübt werden sollte.“ Die Vorteile des zu Fuß zur Schule Gehens seien an dieser Stelle hier nur kurz genannt: Die Teilnahme am Straßenverkehr lernt man nur durch Teilnahme am Straßenverkehr und nicht auf der Rückbank im Auto, das steigert auch die Selbstsicherheit. Durch das gemeinsame Laufen der Kinder können leichter soziale Kontakte geknüpft werden, die Umwelt wird genauer wahrgenommen und das Kind kommt wacher in der Schule an.
Dass Eltern aber durchaus Argumente haben, ihre Kinder mit dem Auto zur Schule zu fahren, will die Verkehrsexpertin keinesfalls in Abrede stellen: „Eltern haben dafür auch ihre guten Gründe, etwa weil die Schule weit vom Wohnort entfernt oder auf dem Weg zur Arbeit liegt.“ Sabine Bünger plädiert dafür, dass Eltern sich in diesem Fall überlegen, wo es in einiger Entfernung von der Schule sichere Haltemöglichkeiten gibt für Kinder und sie dann das letzte Stück allein laufen zu lassen. Oder aber auch die Möglichkeiten von sogenannten Kiss and Ride Zonen* genau anzuschauen: „Es kann auch ein Auftrag an Schule sein, zu überlegen, wo man sichere Halteeinrichtungen schaffen könnte, auf einem größeren Parkplatz beispielsweise, der vielleicht 100 oder 200 Meter entfernt ist. Eltern können Geh-Gemeinschaften gründen, einen sogenannten Walking Bus, wo dann eine erwachsene Person die Kinder jeweils zur Schule begleitet.“
Auch ein Schulwechsel birgt neue Herausforderungen
„Viele Kinder steigen, um zu ihrer neuen Schule zu kommen, in der 5. Klasse aufs Fahrrad um, was wiederum ganz neue Herausforderungen mit sich bringt, gerade wenn man den neuen Weg noch nicht so gut kennt oder auch das Radfahren noch nicht so sicher eingeübt ist. Zudem sinkt nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen in der Pubertät die Risiko-Kompetenz, gerade bei den Jungs. Der Sicherheitsaspekt tritt in den Hintergrund, so dass sich dann eine Unfallhäufung ergibt. Das kann man dann auch statistisch sehen, dass mit dem Wechsel von der Grund- zur weiterführenden Schule auch die Zahl der Schulwegeunfälle steigt. Es ist sehr wünschenswert, wenn Eltern sich dies bewusst machen und genau hinschauen, auch bei der Nutzung des HVV, sich z.B. die Buslinien anschauen, wie voll sind diese, wo sind die Haltestellen?“ Und noch ein wichtiger Hinweis der Expertin: „Wir Erwachsene sind die Vorbilder für unsere Kinder, wenn wir uns aufmerksam und rücksichtsvoll im Verkehrsraum bewegen, werden die Kinder mit hoher Wahrscheinlichkeit uns imitieren. Übrigens: Auf Gefahren hinzuweisen, kann man auch ganz spielerisch bei einem Familienausflug machen oder beim Einkaufen etc.“
Das Gespräch führte Gaby Friebel.
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
Die Unfallkasse Nord informiert:
Alle Kinder sind in der Bildungseinrichtung und auf dem Weg hin und zurück gesetzlich unfallversichert, egal mit welchem Fortbewegungsmittel. Dabei muss es übrigens nicht immer der kürzeste Weg sein, sondern ein sicherer. Die allermeisten Unfälle passieren übrigens tatsächlich in der Schule, meist beim Sportunterricht oder in den Pausen.
2024 waren es in Hamburg 18.400, auf dem Schulweg ereigneten sich zum Vergleich 1.144 Unfälle, also ca. 6 %€ Prozent.
*Beispiele für Kiss and Ride-Zonen, Kuss und Tschüss-Bereiche oder Elternhaltestellen:
Das Gymnasium Buxtehude hat seit September 2018 eine offiziell ausgewiesene Kiss and Ride-Zone, an der Eltern ihr Kind entspannt aus- und einsteigen lassen, wenn sie mit dem Auto kommen. Auch in Poppenbüttel hat die Schule Hinsbleek etwas Ähnliches eingerichtet: eine sogenannte „Kuss- und Tschüss-Zone“, die durch mehrere auf dem Schulgelände gut sichtbar angebrachten Schilder gekennzeichnet ist. Eine Initiative aus Elternrat und Kollegium hat sich für die Einrichtung eines solchen Bereiches ausgesprochen, um die Selbstständigkeit der Schüler:innen zu stärken und den teilweise starken „Elternverkehr bis in die Klassenräume“ vor Schulbeginn und nach Schulschluss zu entlasten.
TIPP: Schlagen Sie doch Ihrem Elternrat an der Schule etwas Ähnliches vor und machen Sie zusätzlich auch die Lehrenden auf solche Möglichkeiten aufmerksam.